John Hagenbeck
Von Ulrich Tatje
Mehr als eine halbe Million Menschen jährlich besuchen den Dehiwala Zoological Garden in Mount Lavinia im Süden von Colombo, der Hauptstadt von Sri Lanka. Den Grundstein für diesen bei Einheimischen wie bei Touristen so beliebten Zoo mit seinen heute mehr als 3000 Tieren legte ein Deutscher in den 1920er Jahren: John Hagenbeck, Tierhändler, Plantagenbesitzer, Schiffsausrüster, Abenteurer, Buchautor und Filmemacher aus Hamburg. Hagenbeck, ein Halbbruder von Carl Hagenbeck, des Gründers des Zoos in Stellingen, das damals noch nicht zu Hamburg gehörte, ließ sich Ende des 19. Jahrhunderts in Ceylon nieder. Er versuchte sich als Schiffsausrüster, kaufte Plantagen für Tee, Kaffee und Kautschuk und arbeitete als Tierhändler. Auf dem Grundstück in Dehiwala sammelte er die für den Weitertransport per Schiff nach Hamburg, London oder New York bestimmten Menschen und Tiere. 1929 gründete er den Zoo, den er sechs Jahre später an den Staat verkaufte. Die Briten internierten Hagenbeck zu Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 und beschlagnahmten sein gesamtes Vermögen. Im Kriegsgefangenenlager Diyatalawa starb Hagenbeck am 16. Dezember 1940.
John Heinrich August Hagenbeck wurde am 15. Oktober 1866 in Hamburg geboren. Sein Vater hatte mit seiner ersten Frau bereits einen Sohn, den 1844 geborenen Carl, der einige Jahre später die Idee eines Zoos in Stellingen realisierte. Ohne Schulabschluss begann John als 15-Jähriger im Unternehmen seines Vaters zu arbeiten, der Tierhändler und Schausteller war. Mit 16 unternahm er seine erste große Reise. Er fuhr nach Triest, um dort den von „unserem Ceylon-Reisenden Engelke“ den ersten Elefantentransport zu übernehmen und nach Hamburg zu begleiten“, wie John Hagenbeck in seinem Buch „Fünfundzwanzig Jahre Ceylon“ beschreibt. 1884 gab es in Hamburg die erste Völkerschau mit 67 Singhalesen, 25 Elefanten, einer Herde Buckelrinder und tonnenweise Gerät und Waffen. 1885 unternahm John seine erste Ceylon-Reise, ein sein ganzes späteres Leben beeinflussendes Ereignis, wie er sich in seinem Buch erinnert. Er sollte wieder eine Gruppe aus Elefanten und Menschen zusammenstellen und nach Hamburg bringen.
Die Völkerschauen waren überaus erfolgreich. Mehr als 100 davon organisierten die Hagenbecks zwischen 1875 und 1930. Tausende Besucher zahlten Eintritt, um andersartige Menschen, Lappländer, Nubier, Inuit, Afrikaner oder Inder und Ceylonesen zu sehen und das Bedürfnis nach exotischen Fantasien zu befriedigen. Gleichzeitig unterstützen die Schauen die kolonialen Interessen Deutschlands. Die Völkerschauen erfüllten die herrschenden Klischees von wilden und Raubtieren jagenden Afrikanern, vom Handels- und Reitervolk der Araber mit Anspielungen an 1001 Nacht, von glücklichen und verspielten Südseeinsulanern, wie den Indern, denen eine höher entwickelte Kultur zugestanden wurde. Die Inszenierungen waren perfekt, die europäischen Besucher (die Hagenbecks zogen mit ihren Völkerschauen durch ganz Europa), sollten in dem Eindruck bestärkt werden, den Fremden kulturell überlegen zu sein. Dieser Rassismus wurde im Laufe der Jahre immer heftiger kritisiert.
Neben der Unterhaltung fürs Volk dienten die Fremden auch der Forschung: Hagenbeck stand in engem Kontakt zur Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte und ihrem Vorsitzenden Rudolf Virchow. Diese Zusammenarbeit steigerte den Wert der „Ware“ Hagenbecks wie Sabine Scholl schreibt („Die Fremden bestaunen“, Zeit.de). Die Macher der Völkerschauen erhielten für ihre weiteren Anwerbungen Unterstützung durch offizielle Regierungsstellen. Eine Aufgabe, die John Hagenbeck gerne erfüllte.
1891 endete John Hagenbecks Tätigkeit für Carl Hagenbeck. Er ging erneut nach Ceylon. Diesem „fernen Tropenparadies“ war er „rettungslos verloren“, wie er in seinem Buch schreibt. „Mit magnetischer Gewalt zog es mich zu dem palmenumrauschten Strand, zu den bräunlichen Menschen, zu den Dschungeln mit ihrer unbändigen Schöpfungskraft, ihrer exotischen Tierwelt, zu den einsamen, wilden Bergen rings um Adamspik, zu der glühenden Sonne und dem ewigen Meer. Ein ganz bestimmtes Gefühl sagte mir, daß ich mein Lebensglück nur in Ceylon finden könnte.“
Er machte sich als Schiffsausrüster und Plantagenbesitzer selbständig und gründete eine Tierhandelsgesellschaft. Seit Anfang der 1900er Jahre lebte er in der Ixora Villa an der Straße Green Path, wo er zur Freude der Kinder aus der Nachbarschaft, eine Reihe von Tieren hielt. Sie nannten ihn „Uncle John“ und ritten auf den zahmen Elefanten. Einmal, es war wohl 1903, war ein Känguru verschwunden – es fand sich dann später auf dem Dach des Nachbarhauses. 25 Jahre lebte „Uncle“ John Hagenbeck auf Ceylon, gründete eine Familie und brachte es sowohl zu Wohlstand wie auch zu Ansehen und einem hohen Bekanntheitsgrad.
Während andere Europäer nach einer Neutralitätserklärung im Land bleiben durften, wurde Hagenbeck zu Beginn des Ersten Weltkrieges am 5. August 1914 von den Engländern aufgefordert, die Insel binnen drei Stunden zu verlassen. Er musste ein Ticket nach Batavia kaufen, wohin ihn der holländische Dampfer „Insulinde“ brachte. Ein erster Fluchtversuch misslang, und Hagenbeck verbrachte nunmehr mit seiner aus Ceylon ebenfalls ausgewiesenen Frau mehrere Wochen auf der Insel. Bis ihm die zweite Flucht mit Hilfe der verfälschten Papiere eines belgischen Soldaten gelang und er über Neapel per Zug nach Deutschland fuhr.
Zurück in Deutschland unterstützte John seine beiden Neffen Lorenz und Heinrich Hagenbeck bei der Führung des 1907 gegründeten Tierparks in Stellingen, des – nach einem Patent ihres Vaters Carl – ersten gitterlosen Zoos der Welt. Für kurze Zeit war John auch fürs Auswärtige Amt in Berlin tätig. Außerdem gründete er in Berlin die John-Hagenbeck-Film GmbH, die zwischen 1919 und 1923 14 Spielfilme und neun kurze Trickfilme herstellte. Im Mittelpunkt der Filme – wie auch der zahlreichen Bücher, die John Hagenbeck schrieb – standen wilde Tiere und exotische Abenteuer. In den Geschichten verarbeitete Hagenbeck seine vielfältigen Erlebnisse und Begegnungen der vergangenen Jahrzehnte in Südostasien. 1920 kam der Film „Darwin“ heraus. Der Höhepunkt: Ein Gorilla raubt eine Frau und verschleppt sie. Damit hatte Hagenbeck den Prototypen des berühmtesten aller Affen aus der Taufe gehoben – acht Jahre vor der Schöpfung des New Yorker Affenmonsters King Kong. Im Hamburger Affenkostüm steckte ein Mitarbeiter von Hagenbecks Tierpark.
Neun Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs verpasste „Uncle John“ seinem Leben erneut eine neue, oder besser: alte Richtung. Er siedelte wieder nach Ceylon über. Seine Filme und Bücher ließ er hinter sich. Er knüpfte an das frühere Leben als Kaufmann und Tierhändler an und gründete 1929 seinen eigenen Zoo. 1932 legte sein Neffe Lorenz, der mit dem gesamten Hagenbeck Zirkus auf dem Weg nach Japan war, einen Stopp in Colombo ein. Sein Onkel nahm ihn mit hinauf in die alte Königsstadt Kandy, wo sie auf einige Mahuts mit ihren Elefanten trafen, die ihre Tricks einst in Stellingen gelernt hatten.
Während Hagenbeck auf seiner geliebten Insel lebte, wobei er beklagte, dass alte Freundschaften verloren gegangen und neue nicht am Patriotismus interessiert seien, lebten einige Singhalesen in Europa. Wie der 1890 geborene Epi Vidane (eigentlich: Allewathgomme Pallediddere Vidane, englisch: A.P., deutsch: Epi), der schon in Ceylon mit Elefanten zu tun hatte, zwischen den beiden Weltkriegen nach Europa kam und für verschiedene Zirkus-Unternehmen arbeitete. In der Nachkriegszeit heuerte er beim VE-Zirkus Busch an, unterstützt von seinem Sohn Banda, der wie dessen Bruder Harro in Deutschland geboren wurde. Banda Vidane ging in den 1960er Jahren in den Westen, wo er zunächst beim Circus Franz Althoff für Pferde und Elefanten zuständig war. Dann wechselte Banda Vidane zum Circus Knie, anschließend als Elefanten-Mann zu Krone.
John Hagenbeck wurde erneut ein erfolgreicher Kaufmann, handelte mit Tee und Tieren, war Generalagent der Allianz und der Stuttgarter Lebensversicherung und wurde vermögend. In seinem Zoo brachte er – wie früher – jene Tiere unter, die er anschließend nach Europa verkaufte. Gleichzeitig konnte der Tierpark von der Bevölkerung auch besucht werden.
1935 muss Hagenbeck erneut aus politischen Gründen aufgeben. Der Zoo wird liquidiert. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wird Hagenbeck inhaftiert, sein Vermögen wird von den Briten beschlagnahmt. Zusammen mit seiner ceylonesischen Frau wird er ins Internierungslager Diyatalawa gebracht, ein ehemaliges Lager der Briten für Gefangenen aus dem Buren-Krieg. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wird das Diyatalawa-Camp im Zentralen Hochland für Deutsche aus Hong Kong, Singapur und Ceylon wiedereröffnet. Am 16. Dezember 1940 stirbt Hagenbeck dort im Alter von 74 Jahren.
Er hinterließ seine Ehefrau und seinen Sohn John George Hagenbeck (1909-1959). Das Lager wurde 1942 geschlossen, als Japan begann, die Insel zu bombardieren. Heute ist Diyatalawa Ausbildungszentrum der Armee Sri Lankas für Offiziere.