Wald mit Zukunft

Von Ulrich Tatje

Die Mischung macht den Wald nicht nur bunt, sondern auch widerstandsfähig gegen Schädlinge, Stürme und Trockenheit. Zum Waldgebiet des Jahres 2022 hat der Bund Deutscher Forstleute (BDF) deshalb die Erdmannwälder zwischen Bassum und Sulingen erkoren. Diese zwölf Wälder mit einer Gesamtfläche von 20 ha verdanken ihren Namen Förster Friedrich Erdmann (1859 – 1943), der 1892 seine Arbeit im heutigen Bassumer Ortsteil Neubruchhausen aufnahm und kränkelnde Kiefernwälder vorfand. Er sorgte in den kommenden Jahrzehnten für mehr Humusaufbau, säte und pflanzte kleinflächig Buchen, Eichen und Weißtannen und lässt Douglasien, Lärchen, Roteichen und ein paar Esskastanien wachsen.  Im Mittelpunkt seines Konzeptes des Waldbaus auf natürlicher Grundlage stand die Buche. Die Erdmannwälder stehen heute als Musterbeispiel für Nachhaltigkeit.  Solche Wälder haben eine Zukunft, so sieht es auch der BDF.

Ein weiterer Förster, Arnold Freiherr von Vietinghoff-Riesch (1895 – 1962), beschäftigte sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ebenfalls mit der naturgemäßen Waldwirtschaft. In dem 1000 ha großen Forstbetrieb der Familie in der Oberlausitz verzichtete Vietinghoff beispielsweise auf Kahlschläge und baute das Gut Neschwitz zu einem naturgemäßen Musterbetrieb aus. Neschwitz blieb auch in der DDR Musterbetrieb für Vorratswirtschaft und naturgemäße Wirtschaftsweise.

Lithografie
(2) Lithographie vom August 1900 aus Neschwitz nach Lengefeld im Erzgebirge. Oben links ist das Neue Schloss Neschwitz abgebildet, in dem Arnold Freiherr von Vietinghoff geboren und aufgewachsen ist.

Vietinghoff wurde auf Gut Neschwitz (Abb. 2) geboren, das damals zu den schönsten und gepflegtesten herrschaftlichen Besitzungen der Oberlausitz zählte. Umsorgt und wohlbehütet von Eltern, Erziehern, Dienerschaft und Hauslehrern verbrachte Vietinghoff gemeinsam mit seinen sieben Geschwistern eine wunderbare Kindheit im prachtvollen Neuen Schloss und dessen umgebenden Park. Nach dem Abitur in Dresden zog es ihn für einige Zeit zu seinem Großvater und weiteren Verwandten in Salisburg in Livland (heute: Lettland).

Die Vietinghoffs gehören zum alteingesessenen norddeutschen Adel. 1230 tauchte der Name erstmals auf, im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich neben der ursprünglichen westfälischen auch eine baltische Linie.

Am Stammsitz der Familie in Livland wurde der junge Baron vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges überrascht. Er verbrachte mehrere Jahre in verschiedenen russischen Internierungslagern, war beeindruckt von der Schönheit und Weite des Landes und lernte die Sprache.

Nach dem Krieg machte er zunächst eine Lehre in einem Forstamt, bevor er an der Königlich-Sächsischen Forstakademie Tharandt ein Studium der Fortwissenschaften aufnahm. 1921 ging er nach München und schloss sein Studium zwei Jahre später mit einer Promotion ab. Er heiratete Editha Freiin von Seherr-Thoß, die zwei Kinder aus einer vorangegangenen Ehe hatte, und die Familie zog nach Neschwitz. Dort half Vietinghoff seinem Vater bei der Bewirtschaftung des 2000 ha großen Gutes, zu dem neben dem Wald auch ein Rittergut und zahlreiche Fischteiche gehörten und legte 1926 die Große Forstliche Staatsprüfung ab.

Briefmarke
(4) 100 Jahre Staatliche Vogelschutzwarte Seebach (MiNr. 2661)

Naturschutz und Landschaftspflege bezog er in die Aufgaben der Forstwirtschaft ein. Mit diesem Thema habilitierte er sich 1936 an der Forstakademie Tharandt, wo er seit 1935 als Dozent tätig war, unter anderem auch für die Fächer Ornithologie und Vogelschutz. Bereits 1930 hatte er in Neschwitz eine Vogelschutzwarte eingerichtet, die bis 1970 existierte.

Nachdem im Mai 1945 das barocke Neue Schloss in Neschwitz abgebrannt und ausgeplündert worden war, flüchtete von Vietinghoff mit seiner Familie in den Westen. In der Forstverwaltung des Freiherrn von Knigge in Steinkrug am Deister leitete er unter anderem eine Nisthöhlenfabrik und gründete dort 1947 die Staatlich anerkannte Vogelschutzwarte Niedersachsen. Diese wurde 1970 in die Fachbehörde für Naturschutz integriert. In der Vogelschutzwarte werden Grundlagendaten zum Vogelbestand, seiner Entwicklung sowie seiner Verbreitung erhoben. Die Vogelschutzwarte (Abb. 4) arbeitet mit vielen Ehrenamtlichen, Institutionen und Verbänden zusammen. Wichtig ist auch die Kooperation mit der Niedersächsischen Ornithologischen Vereinigung (NOV).

Brief an Vietinghoff
(1) Brief von Ceylon nach Deutschland (München) an den Forstwissenschaftler Arnold Baron Vietinghoff, gestempelt 14.9.49 Colombo Foreign, 3 x 30 c König Georg VI, MiNr 238

Ab 1946 hielt Vietinghoff Vorlesungen an der Forstlichen Fakultät der Universität Göttingen in Hann. Münden, wo er nach seiner Habilitation 1949 als außerordentlicher Professor für Waldbau wird und die Leitung des Instituts für Forstzoologie übernimmt.

In diese Zeit fällt der Brief, den ihm Walter von Keudell aus Colombo (Ceylon, heute Sri Lanka) schickte.  (Abb. 1) Von Keudell ist Jurist, gehörte von 1924 bis 1930 als Abgeordneter dem Deutschen Reichstag an, leitete den Deutschen Forstverein und wurde 1933 zum Generalforstmeister und Staatssekretär im Reichsforstamt ernannt. 1937 trag er von seinem Amt zurück, weil er sich den Forderungen von Reichsforstminister Göring widersetzte, der einen verpflichtenden Holzeinschlag in Privatforsten forderte.

Den Brief aus Colombo verschickte von Keudell am 14. September 1949. Offenbar war er mit dem frisch überholten Schiff „Otranto“ der Orient Line auf dem Weg von (oder nach) Sydney (Australien). Jedenfalls benutzte er das Briefpapier der Reederei.

Mitte der 50er Jahre übernimmt von Vietinghoff den Lehrstuhl für Forstgeschichte, Forstschutz und Naturschutz, von 1960 bis 1961 war er Dekan der Forstlichen Fakultät. Seine Bedeutung als Hochschullehrer ist vor allem darin zu sehen, dass er den Naturschutz in der forstlichen Ausbildung verankerte und sich sowohl für die Waldästhetik als auch für die Landschaftspflege engagierte. Zu seinen Hautwerken gehört unter anderem das Buch „Der Oberlausitzer Wald, seine Geschichte und seine Struktur bis 1945“ sowie seine Autobiographie „Letzter Herr auf Neschwitz“. Er starb 1962 an den Folgen eines Autounfalls in Unna, wenige Tage nach seiner Frau Editha.

Briefmarke Rotbuch
(5) Die Rotbuche, allgemein auch als Buche bezeichnet, ist mit einem Anteil von 15 Prozent der häufigste Laubbaum in deutschen Wäldern (MiNr 1024)

Die Kenntnisse um die naturgemäße Waldwirtschaft, die die beiden Forstleute Erdmann und von Vietinghoff vor Jahrzehnten entwickelten und praktizierten, sind auch heute modern, und ihre Wälder gelten als Vorbilder für einen zukunftsfähigen Umgang mit der Natur.

Quellen: diverse Wikipedia-Seiten

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